„Lizenz zum Gassi-Gehen“: Niedersachsen führt Hundeführerschein ein

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Seit dem 1. Juli 2013 gelten in Niedersachsen die bundesweit schärfsten Regeln für Hundehalter. Gleichzeitig hat das Land damit die umstrittene „Rasseliste“ wieder gekippt. Egal, ob Pinscher oder Pitbull: Vor dem Niedersächsischen Gesetz über das Halten von Hunden sind alle gleich.

 

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Es gilt als das modernste, aber zugleich auch schärfste Hundegesetz. Denn wer sich in Niedersachsen erstmals einen Hund anschafft, muss nachweisen, dass er über die notwendige Sachkunde für das Führen eines Hundes verfügt.

Konkret umfasst das neue Hundegesetz folgende Pflichten:

·         Ab Juli 2013 müssen Hundebesitzer in Niedersachsen einen „Sachkundenachweis“ erbringen, dass sie in der Lage sind, einen Hund zu halten und ihn stets im Griff zu haben. Der Hundeführerschein ist für alle Hundehalter verpflichtend, die ihren Hund nach dem 1. Juli 2011 angeschafft haben.

·         Die Hundeführerschein-Prüfung besteht aus einem Praxis- und einem Theorieteilund kann bei jeder von der Gemeinde anerkannten Institution (Verein, Hundeschule, Tierarzt) abgelegt werden. Hundehaltung, Tierschutzbestimmungen, Physiologie, Leinenführigkeit, Grundgehorsam und Sozialverhalten sind nur einige der relevanten Themen. Bei der abzulegenden Prüfung muss der Hundehalter mindestens 16 Jahre alt sein. Der theoretische Teil der Prüfung muss vor der Anschaffung des Hundes erfolgen. Der praktische Teil muss vom Hundebesitzer innerhalb des ersten Jahres nach Einzug/Kauf des Hundes abgelegt werden.

·         Vom sogenannten Sachkundenachweis bleibt nur verschont, wer im vergangenen Jahrzehnt bereits zwei Jahre lang einen Hund gehalten hat. Ausgenommen sind auch Tierärzte, Jäger und Tierheimbetreiber.

·         Darüber hinaus muss jeder Vierbeiner eine eigene Haftpflichtversicherung haben, gechippt und bis Ende Juli 2013 im Zentralregister des Landes angemeldet sein.

Weitere Infos zum Thema

Offizielle Seite des Niedersächsischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: HIER

Special des Norddeutschen Rundfunks zum Hundeführerschein: HIER

 

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Das neue Hundegesetz: Viel Licht, wenig Schatten?

Verabschiedet wurde dasNiedersächsische Gesetz über das Halten von Hunden übrigens schon 2011, erst jetzt endete eine entsprechende Übergangsfrist. Mindestens ebenso lange währt die Diskussion um den Sinn oder Unsinn eines Hundeführerscheins.

 

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Laut Umfragen von Tasso und Spiegel Online hält eine Mehrheit den Hundeführerschein für sinnvoll. Auch die Tierschutzorganisation PETA pocht darauf, den Sachkundenachweis bundesweit einzuführen. Nicht allein, um Beißvorfällen vorzubeugen, sondern auch um den Hunden ein besseres und artgerechtes Leben zu ermöglichen.

Die „Lizenz zum Gassigehen“ wie Spiegel Online den Hundeführerschein betitelt, hat aber auch Kritiker. Neben dem Mehraufwand für die Kommunen für die notwendigen Kontrollen, zweifeln manche Experten auch daran, dass das neue Gesetz zu mehr Sicherheit führen wird. Denn nur der eingetragene Halter muss den Hundeführerschein ablegen, nicht etwa andere Familienmitglieder oder Freunde, die mit dem Hund spazieren gehen.

Zusätzliche Kosten kommen auf jeden Fall auf den Hundebesitzer zu: Für den theoretischen und den praktischen Test werden insgesamt rund 200 Euro fällig. Hinzu kommt die kostenpflichtige Registrierung.

Ob der Hundeführerschein Beißvorfällen vorbeugt, das Verständnis für die Bedürfnisse des Hundes und das allgemeine Verhältnis zwischen Hunde-Besitzer und Nicht-Hundebesitzer verbessert, bleibt abzuwarten. Auch ob als Erfolg des Hundeführerscheins weniger Hunde aufgrund von Überforderung oder unüberlegtem Spontankauf im Tierheim landen, lässt sich kaum vorhersagen. Jedes Jahr landen 80.000 Hunde in deutschen Tierheimen.

 

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Zu guter Letzt hinterfragen Kritiker die Sinnhaftigkeit eines Praxistests, der jedes Mensch-Hund-Team über einen Einheits-Kamm schert. Was passiert beispielsweise mit dem Angsthund aus dem Tierschutz, der endlich ein liebevolles Zuhause gefunden hat, wenn er aufgrund seiner traumatischen Erlebnisse die Prüfungssituationen nicht besteht. Manche Hunde werden nie alltagstauglich werden, werden nie frontal auf Menschen zugehen können ohne vielleicht aus Angst zuzuschnappen. Es gibt Hunde, die aber in der richtigen ländlichen Umgebung und ohne angstauslösende Situationen ein ganz normales, glückliches Leben führen können – zusammen mit einem verantwortungsvollen Besitzer, der weiß, was man ihm abverlangen kann und was nicht.

 

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Was, wenn dieser Hund dann aufgrund von Prüfungsversagen im Tierheim landet? Oder der knötterige Yorkshire, der mit seinen 11 Jahren nie mehr zu everybodys Darling wird, der sich an der Leine aufführt, als hätte er einen Mastiff verschluckt und der auch schon mal die Nachbarin in die Waden kneift.

Allerdings und das mag wohl etwas zur Beruhigung beitragen: Geprüft werden soll nicht der Hund, sondern das vorausschauende Handeln des Besitzers. Daher sollten auch Besitzer von „Problemhunden“ laut Aussagen einiger Hundeschulen mit ein wenig Vorbereitung keine Angst vor der Prüfung haben. Interessant übrigens: Der Hundeführerschein muss nicht mit dem eigenen Hund abgelegt werden.

Bleibt zu hoffen, dass die Prüfer Augenmaß beweisen und bei allen Einheitstests auch das Individuum Hund sehen. Es wäre traurig, wenn man die Abschaffung der Rasseliste damit bezahlt, dass Hunde, die durch die schlechte und verantwortungslose Behandlung durch ihre Vorbesitzer durch den Hundeführerschein doppelt gestraft werden. Aber bei allen kritischen Stimmen: Die Abschaffung der Rasseliste ist gerade mit Blick auf das Nachbarland Dänemark ein wichtiger Schritt. Stattdessen zwingt Niedersachsen zumindest Ersthundebesitzer sich vor der Anschaffung eines Vierbeiners mit den Bedürfnissen eines Hundes und der damit verbundenen Verantwortung auseinanderzusetzen.

 

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So traurig es ist, aber Test-Fragen wie sich die Zwingerhaltung auf die Wesensentwicklung auswirken und ob man Hunde im Hochsommer im Auto lassen kann, scheinen nicht nur für Neuhundebesitzer ihre Berechtigung zu haben.

Gut zu wissen:

Nicht Registrieren kann teuer werden
Wer seinen Hund nicht spätestens einen Monat nach Kauf angemeldet hat, muss mit einem Bußgeld von bis zu 10 000 Euro rechnen.Das geht entweder telefonisch oder schriftlich beim Landkreis (beziehungsweise den kreisfreien Städten wie Hannover, Göttingen, Wolfsburg oder Braunschweig). Die Anmeldung ist auch im Internet unter www.hunderegister-nds.de möglich. Übrigens: Eine Übertragung der Daten aus Registern wie Tasso findet nicht statt.

Trockenübung oder Hundeschule?
Auch wenn gerade für Neuhundebesitzer der Besuch einer Hundeschule immer zu empfehlen ist, vorgeschrieben ist eine solche Vorbereitung nicht für das Ablegen des Hundeführerscheins. Mankann Theorie und Praxis auch allein zu Hause mit entsprechendem Lehrmaterial üben.

Zertifizierte Prüfer
Eine Liste der niedersächsischen Prüfer, die den Hundeführerschein abnehmen dürfen, ist auf der Homepage der Tierärztekammer Niedersachsen, auf der Webseite der Tierärztlichen Arbeitsgemeinschaft Hundehaltung oder und unter der Homepage des niedersächsischen Verbraucherschutzministeriums zu finden.

Frühere Prüfungen werden anerkannt
….wenn die Prüfung von zertifizierten Stellen, die auch nach dem 1. Juli prüfungsberechtigt sind, vorgenommen wurden.

Was mache ich, wenn ein Jogger kommt?
Mit solchen Fragen muss man im Theorieteil rechnen.Der theoretische Teil der Prüfungen besteht aus 35 Multiple-Choice-Fragen zu fünf Teilbereichen. Prüflinge müssen jeden Teilbereich einzeln bestehen; außerdem müssen insgesamt 26 der 35 Fragen korrekt beantwortet werden.

Bestechung ist erlaubt!
…Leckerlis sind während des praktischen Teils explizit erlaubt.

 

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Zu typischen Prüfungssituationen gehören unter anderem: Das sichere Aussteigen aus dem Auto, das kontrollierte Vorbeiführen des Hundes an Passanten, Joggern und anderen Hunden. Wer beim ersten Anlauf durchfällt, kann die Prüfung wiederholen.

 

Muss jedes einzelne Familienmitglied den „Führerschein“ machen?

 

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Nein. Familienmitglieder müssen keinen eigenen „Hundeführerschein“ ablegen, um mit dem Tier spazieren gehen zu können. Der Halter übernimmt die Verantwortung.

Mehr Freiheit für mehr Pflichten?
Wer so strenge Auflagen erfüllt, könnte auch mehr Freiheiten bekommen, oder?

 

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Schön wär´s. Aber vielleicht folgt Niedersachsen hier ja bald dem Beispiel Hamburg. Hier berechtigt der Hundeführerschein dazu, seinen Hund auch jenseits der offiziellen Freilaufflächen in öffentlichen Parks und Grünanlagen ohne Leine zu führen.

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